675 Jahre Kipfendorf
Wenn wir in diesem Jahr auf eine 675jährige Geschichte Kipfendorfs zurückblicken, dann meinen wir die erste Erwähnung unseres Ortes im Henneberger Urbarium von 1317, in dem er als „Windisch Inberg“ aufgeführt ist, und zwar als Tochtersiedlung von Inberg (Einberg). Das „Windisch“ weist deutlich auf slawische Siedler hin, die wahrscheinlich zwangsweise von Einberg aus hier angesiedelt wurden, weil sie das Töpferhandwerk beherrschten. Interessant ist, dass in der Kipfendorfer Tongrube ein alter Brennofen und Bruchstücke urnenartiger Gefäße gefunden wurden, die auf eine mittelalterliche Brennerei aus der Zeit um 1200 bis zum 30jährigen Krieg schließen lassen. Der heutige Name Kipfendorf ist erstmals erwähnt im Jahre 1492, also vor genau 500 Jahren. Man leitet diesen Namen von „kipfe = Berggipfel“ oder auch Spitze ab, d. h. also „Dorf an der Kuppe“, was nur den Stiefvater meinen kann.
Die Zugehörigkeit von „Windisch Inberg“ zu Einberg endete mit dem Verkauf durch Georg von Schaumberg an der Ritter Hans von Waldenfels aus Waldsachsen im Jahre 1415. 1440 wurde das Dorf vom Vorsteher des Klosters Mönchröden, Eberhard Lebeherz, erkauft und wurde so dem Kloster lehnbar. Im Erbbuch von 1516 heißt es: „Der Abt zu Mönchröden hat in Kipfendorf einen Hof und 5 Sölden, darauf 6 gesessene Mann, sind alle zentbar und geben Bethe und Steuer“. Als Besitzer der Güter sind dort aufgeführt: Der Hof des Hans Prückner, der diesem durch Abt Niclausen vererbt wurde, die Sölde des Heintz Oerlein und als übrige Söldenbesitzer Lorentz Stülle, Hanns Weber, Heintz Schneider, Cuntz Heyn und Oswald Heß. Das Kloster war auch Besitzer eines Sees zu Kipfendorf. „Niemand hat sich desselben ohne unseren Willen zu fischen zu unterstehen“, hieß es 1484. Auffällig ist, dass in alten Urkunden, die meistens wegen irgendwelcher Streitigkeiten zwischen den Grundherren angelegt wurden, die Einwohner unseres Ortes öfter als „unsere armen Leute zu Kipfendorf“ bezeichnet wurden. Reichtümer waren hier also nicht zu gewinnen. Das beschreibt auch eine Urkunde von 1783: „Kipfendorf liegt nicht weit von Mönchröden, hat schlechtes Erdreich und Futter. Die besten Felder liegen an Bergen, die in der Ebene haben kalten und nassen Boden. Oft erhalten die Besitzer den darauf ausgestreuten Samen nicht wieder“.
Die schlimmste Notzeit, die unsere Vorfahren erleiden mussten, waren die Jahre des 30jährigen Krieges und die Zeit danach. Das Coburger Land, an zwei wichtigen Heeres- und Handelsstraßen gelegen, die durch das Steinach- und Rödental führten, hatte hauptsächlich durch die Durchzüge ganzer Heerscharen und wilder Horden lange Zeit zu leiden, und von 1632 an kannten diese weder Maß noch Ziel in ihren Forderungen und Grausamkeiten. In ihrer Not sind damals viele Menschen in die Wälder des nahen Thüringer Waldes geflüchtet. Zu allen Greueln des Krieges kam noch die Pest, die vor allem 1635 fürchterlich hauste. Unser Dorf hatte 1618, bei Beginn des Krieges, 10 Häuser, davon 1 Gut und 9 Söldengüter. 1630 gab es noch 4 Pferde, 20 Stück Rindvieh und 12 Schweine. Acht Jahre später war nur noch eine Kuh vorhanden und nur noch 3 Häuser standen unversehrt. Den Krieg überlebten gerade acht Kipfendorfer. Wir wissen nicht, wie viele umkamen oder vorher geflohen oder abgewandert waren in Gegenden, die sie für sicherer hielten. Nur langsam normalisierte sich nach diesem Krieg wieder das Leben und es ging wieder aufwärts. Manche kamen auch wieder in die Heimat zurück. 1658 gab es schon wieder 9 Rinder und 10 Schafe. 1693 zählte der Ort „35 Einwohner, der Tierbestand bei 48 Rindern“ und 1783 64 Einwohner in 14 Häusern.
Auch politisch hatte sich die Zeit gewandelt. An Stelle der Lehnsherren des Mittelalters traten jetzt die fürstlichen Herren, bei uns die Herzöge von Sachsen-Coburg.
Große Aufregung gab es in unserem Dorf, als 1744 einer Magd aus Kipfendorf, Kunigunda Linderin, gebürtig aus Großgarnstadt, der Prozess wegen der Tötung eines neugeborenen Kindes gemacht wurde. Leider sind die Protokolle kaum lesbar.
Ein wesentlicher Aspekt für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Dorfes war die Tongrube, im Volksmund „Erdengrube“ genannt. Für die Entwicklung unserer heimischen Industrie im 19. Jahrhundert war sie von ausschlaggebender Bedeutung. Von den wendischen Töpfern angefangen, die wahrscheinlich die ersten Siedler waren, weiter über die vielen Häfner und Töpfer aus Einberg und Neustadt, die im Mittelalter den Ton fuderweise kauften, bis zum Jahre 1857, als Joseph Rudolph Geith, der Gründer des Annawerkes, Pächter der Tongrube wurde. Nach einer alten Chronik wird schon 1617 von einer Ziegelhütte bei Kipfendorf berichtet. Später wurde die Grube von der herzoglichen Kammer verpachtet, was zu viel Streit und Anfeindungen des Pächters führte. Das wird 1774 von einem Lorenz Renner in Kipfendorf berichtet, der 100 Gulden Pacht jährlich zahlen mußte. Sein Nachfolger wurde ein Andreas Hertlein. Von 1777 bis 1804 pachtete die Grube Fabrikdirektor Ferd. Friedich Hamann aus Wallendorf, der die Tonerde für seine Porzellanfabrik in Ilmenau benötigte. Auch Gotthelf Greiner aus Limbach hat in Kipfendorf für seine Glas- und Porzellanfabrik Ton holen lassen. Bis nach Breitbach und Sondershausen in Thüringen gelangte Kipfendorfer Ton. Ab 1803 gab es einen offiziellen Tongräber. Peter Schlund war der erste, der dafür 200 Gulden Kaution bezahlten musste. Schon 1808 wurde übrigens eine Versuch unternommen, aus Kipfendorfer Ton Wasserrohre zu fertigen. Und dann bestimmte die Entwicklung des Annawerkes die weitere Geschichte der „Erdengrube“. Viele Ortsbürger verdienten sich über viele Jahre hinweg ein Zubrot als Tonfahrer. 1913 – 1915 wurde auf 5 km Länge eine Grubenbahn zwischen dem Werksgelände und der Kipfendorfer Grube gebaut. Sie wurde mit Hilfe von italienischen Kriegsgefangenen fertig gestellt, denn der 1. Weltkrieg hatte zu großem Arbeitskräftemangel geführt. Bis 1930 fuhr diese Bahn, dann wurde die Grube wegen zu hohem Abraums aufgegeben und die Bahn teilweise abgebaut. Sie wurde neu um den Kieferberg herum zur Thieracher Ebene geführt, um bis 1959 Ton von der Thieracher Grube ins Annawerk zu transportieren. So ist die Kipfendorfer Tongrube ein Stück heimatlicher Erde mit wahrhaft historischem Hintergrund.
Bei dieser Gelegenheit muss noch erwähnt werden, dass im 18. Jahrhundert Schürfungen nach Steinkohle im Sauloch und am Kemmater Berg vorgenommen wurden, veranlasst durch den immer mehr wachsenden Bedarf an Holz. Die Feuerung mit Steinkohle kam in Gebrauch. 1782 fand ein Neustadter Schulmeister Kohlestücke am Weg von Kipfendorf nach Boderndorf. Dieser und andere Funde führten letztendlich zur Anlage einer Kohlengrube durch die herzogliche Rentkammer. Man taufte die Grube „Längst gewünschtes Glück“. Ein Johann Veit Queck wurde als Steiger gewonnen. Der Erfolg des Unternehmens war gleich null. 1787 wurde der Weiterbau untersagt. Was wäre aus Kipfendorf geworden, hätte man hier ausgedehnte Kohlenlager entdeckt?
Zurück zu den Kipfendorfern im 19. Jahrhundert. Es war die Zeit, wo man sich gesellschaftlich und später auch politisch zu Gemeinschaften und Vereinen zusammenschließen durfte. Der älteste Verein in unserem Ort war ein „Leseverein“, der schon 1858 gegründet wurde. Bei der Gründung mussten die „Statuten“ dem Staatsministerium, als Oberaufsicht über das Vereinswesen, vorgelegt werden. Man weiß nicht, wie lange dieser Verein Bestand hatte, denn 1891 wurde er als „Leseverein Concordia“ neu gegründet, zur „Sittlichen- und materiellen Förderung“, wie es im Statut heißt. Wöchentlich gab es eine Versammlung und man musste monatlich 20 Pfennig an Beitrag leisten. Die Chronik weiß zu berichten, dass sich im Jahre 1907 der Vorstand beim Landratsamt beschwerte, weil nach einer Beerdigung die Träger auf Kosten des Vereins eine Zeche von 11 Mark gemacht hatten. Weil das Anklang gefunden hatte, sollten bei allen zukünftigen Beerdigungen 12 Mark aus der Vereinskasse gezahlt werden. Dieser Mehrheitsbeschluss musste zurückgenommen werden, weil man sonst die jährlichen staatlichen Beihilfen von 15 Mark nicht mehr erhalten hätte.
Als Sonderabteilung des Lesevereins wurde im Dezember 1893 der „Sparverein Kipfendorf“ gegründet, bei dem eine wöchentliche Einlage von nicht unter 20 Pfennig bezahlt werden musste.
1898 wurde das „Tabaks-Collegium zu Kipfendorf“ ins Leben gerufen. Zweck des Vereins war „Unterhaltung und Fortbildung der Mitglieder bei einer Pfeife Tabak“. Es ist sehr erheiternd, den Statut des Vereins zu lesen.
Interessant ist noch die Errichtung eines „Märkeramtes“ in Kipfendorf im Jahre 1883, dessen gewählte Mitglieder Ludwig Wendler, Adam Rosenbauer und Karl Brückner als Obermärker waren. Sie erhielten als Entschädigung für ihre Tätigkeit in der Stunde 20 Pfennig.
Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Kipfendorf mit Thierach 25 Wohnhäuser bei 32 Haushaltungen, 176 Einwohner, die ohne Ausnahme evangelisch waren. Was den Glauben anbelangt, war Kipfendorf von Anfang an bis zum heutigen Tag mit der Kirche St. Marien in Einberg verbunden. Dasselbe gilt für die schulischen Belange. Den ersten Einberger Schulverband gab es schon um 1590 und ihm gehörten auch schon Kipfendorf und Thierach an. In Kipfendorf bildete sich im Lauf der Zeit, wie auch an einigen anderen Orten des Schulverbandes, eine sogenannte Präceptorenschule, um den Kindern den weiten Weg zur Schule zu ersparen. Es waren Hilfseinrichtungen, Nebenschulen und Glieder der Hauptschule. 1842 wurden die Kipfendorfer wieder mit der Schule in Einberg vereinigt. Zu dieser Zeit musste sich in Einberg ein einziger Lehrer mit bis zu 240 Kindern abplagen!
1855 konnte in Einberg ein neues Schulhaus eingeweiht werden, in dessen zwei Klassen sich immer noch 274 Kinder drängen mussten. Das Problem der Enge in Einberg wurde teilweise gelöst, als 1875 Kipfendorf und Rothenhof aus dem Schulverband ausschieden und gemeinsam eine eigene Schule in Kipfendorf bauten. Diese unsere Schule, aus der dann auch die Rothenhofer Schüler ausschieden, weil man dort eine eigene Schule errichtete, hatte Bestand bis zum Jahre 1967. Die Dorfschulen, die fast 100 Jahre vorher gebaut worden waren, wurden im Zuge der Landschulreform wieder aufgelöst und die Kinder kehrten wieder nach Einberg zurück, in die neu erbaute Verbandsschule. Man wollte mit dieser Reform den Kindern vom Lande gleiche Ausbildungschancen geben wie den Kindern in den großen Stadtschulen. Diesmal gingen aber unsere Kinder nicht „stolz zu Fuß“ nach Einberg, sondern „stolz zu Bus“!
Kipfendorf ist heute Stadtteil von Rödental. Es gehörte zu den sechs Gemeinden, die sich 1971 von Anfang an zu der Großgemeinde Rödental zusammenschlossen. Wenn man in die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte zurückblickt, so stellt man fest, dass dieser Zusammenschluss das Ergebnis historischer Entwicklungen ist.
In der Nr. 1 der „Rödentaler Nachrichten“ aus den Jahr 1971 schreiben die sechs ehemaligen Bürgermeister:
„Geschichte und Überlieferung sind nicht verglimmende Asche, sondern ein Feuer, dem jede neue Generation durch fortschrittlichen Geist, durch kühne Vorausschau und durch harte Arbeit neue Nahrung zuzuführen hat, denn wir alle stehen auf den Schultern derer, die vor uns Verantwortung getragen haben.“
Als jüngster Verein haben sich vor 11 Jahren Bürger von Kipfendorf zu einer „Dorfgemeinschaft“ zusammengeschlossen. Am 12. Juli 1992 feiern wir schon unser 12. Dorffest. Wir hatten uns vorgenommen, dem kulturellen Leben in Kipfendorf neue Impulse zu geben und unser Dorf lebens- und liebenwerter zu machen. Um das zu erreichen, arbeiten wir eng zusammen mit dem 1929 gegründeten FC Kipfendorf und dem Löschzug Kipfendorf der Freiwilligen Feuerwehr.
Unsere Arbeit ist im letzten Jahr durch die Erringung des 2. Preises beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden „ belohnt worden. Es ist uns ein Ansporn für unsere weitere Arbeit.
Zum Jubiläum wünschen wir unserem Kipfendorf eine gedeihliche und friedliche Entwicklung in die Zukunft.
Zusammengestellt von Siegfried Zeltner. (1992)